Rüdiger Grünhagen am 19.11.24. im Zeitpunkt.ch https://zeitpunkt.ch/node/41115?check_logged_in=1 einen Artikel veröffentlicht unter dem Titel ‚Europa kann nur Frieden‘, mit dem Bezug zu Veröffentlichungen der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Ich beziehe mich hier nur auf einen Aspekt des bedenkenswerten Artikels. Vorneweg will ich nehmen, dass es mich als Nicht-Deutscher immer mit Unbehagen erfüllt, wenn Deutsche für ein vereinigtes Europa plädieren (wie Ulrike Guérot das in ihrem Buch Warum Europa eine Republik werden muss wohl tut). Hier sind meine Gründe.
Die im Artikel zitierte Aussage von Ulrike Guérot, dass Europa Krieg nicht kann wäre meiner ist m.A.n. nur dann korrekt, wenn Europa als Nation oder Kontinent nicht gäbe. Da Europa keine Nation ist, wohl aber als Kontinent besteht (je nach Autor mit unterschiedlicher Ausdehnung im Osten) ist diese Aussage m.A.n. objektiv falsch. Richtig ist, dass die Länder Europas Krieg bestens können (was Zeiten des Nicht-Kriegs und lokalen Aufblühens durchaus einschliesst). Viele dieser Nationen sind ja gerade aus Kriegen hervorgegangen. Dass Krieg und Wiederaufbau zwar Staaten ruiniert jedoch bedauerlicherweise noch immer als sehr lukrative Geschäfte gehandelt werden, darauf gehe ich hier nicht ein. Wir dürfen uns als Menschen (egal wo wir leben) Krieg nicht mehr leisten! Regierende wissen genau, dass Kriege unsägliches Leiden hervorbringen und Volkswirtschaften ruinieren. Sie wissen auch bestens, dass ein Krieg geradewegs zum nächsten Krieg führt. All das ist den Regierenden bekannt, für sie jedoch offensichtlich kein Grund friedliche Wege der Konfliktlösung einzuschlagen. Beschämend!
Dass Europa Krieg kann bezeugen schon die vielen Burgen, die auf unserem Kontinent heute noch zu finden sind. (Anderorts in der Welt sollen es bedeutend weniger sein, siehe dazu auch Peter Frankpopan’s Buch Licht aus dem Osten). Diese Festungen sind eindrückliches Abbild der ‚Militarisierung der Religion‘ in Europa wie Jacques LeGoff in Die Geburt Europas im Mittelalter aufzeigt. Da der Klerus nicht töten darf, erschuf sich die katholische Kirche das Rittertum als ihren eigenen Söldnertrupp; von Königen finanziert. Wenn wir die Geschichte unseres Kontinentes anschauen verwundert es dann auch nicht, dass die europäische Geschichte vor allem eine blutige ist. Krieg nach Krieg bis heute. Als die Seefahrt erschlossen wurde, exportierten die Reiche Europas ihre Kriege untereinander um Vormacht und Ressourcen in die ganze Welt. Die Spuren der Kolonialisierung werden heute noch erlitten.
Ich kann gut verstehen, dass es Menschen in Deutschland gibt, die sich – angesichts des zweigeteilten Weltkrieges zu welchem Deutschland (wenn auch nicht alleinig so doch massgeblich) geführt hat – eine Einbettung ihres Landes in etwas Grösseres dringlichst suchen. Dieser Wunsch, Deutschland vor sich selber zu schützen, ist nach einer solchen grauenhaften Entgleisung (durch das Nazireich) völlig verständlich, gerade weil Deutschland wieder die stärkste Macht Europas und somit führend wurde. Eine solche Einbettung wäre jedoch nichts anderes als ein ‚Aufgehen Europas in Deutschland‘ wie Deutschland bei seiner Staatenbegründung 1871 eigentlich im Preussentum aufgegangen ist (ich weiss nicht mehr, in welchem Buch ich diese, wie mir scheint, passende Formulierung gelesen habe). Das Bedürfnis des Schutzes vor sich selber sowie das Bedürfnis endlich doch noch auf der vermeintlich richtigen Seite zu stehen, kann auch erklären, warum gerade die ideologisch geprägten Sozialdemokraten und Grünen sich erneut den USA unterwerfen und deren Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine massgeblich mitführen. Ein weiterer Krieg in Europa unter so entsetzlich vielen.
Wenn Europa aus der Geschichte eines gelernt haben sollte, dann das: eine friedliche Ko-Existenz von benachbarten Regionen und unterschiedlichen Menschengruppen ist heute ebenso möglich wie Pflicht! Ersteres hat uns die Geschichte mehrfach gezeigt (s. Auch Licht aus dem Osten). Letzteres ergibt sich aus einem zeitgemässen Menschenverständnis: durch die Erkenntnis, dass wir nicht alle gleich sind, sein können, wollen und müssen (was sich etwas in den Menschenrechten spiegelt). Beides sollte uns vor Weltregierungsfantasien schützen.
Macht korrumpiert. Totale Macht korrumpiert total. So ein Sprichwort. Wo lebt sich die Macht aus, wenn es keine bedrohlichen Nachbaren mehr gäbe? Der Fokus, die Kontrolle der Machteliten verschiebt sich dann nach innen. Wenn der Nachbar nicht mehr bedrohen kann, dann richtet sich der Machtanspruch umso stärker auf die Bevölkerung. Die französische Revolution zeigt deutlich auf, wie die Bevölkerung zur Bedrohung aufgebaut worden ist und zu einer globalen Panik der Regierungen geführt. Der Ausbau und die Verstaatlichung der Polizei und der Aufbau von Geheimdiensten wurde geradezu beflügelt (eindrücklich recherchiert von Adam Zamoyski in Phantome Des Terrors). Kulturelle und Meinungsvielfalt wird zur Bedrohung für die Regierungen. Ihr Anspruch wird immer stärker der Gehorsam und der wird erzwungen und drakonisch durchgesetzt. Dabei spielt keine Rolle ob ein solcher Anspruch sinnvoll oder gerechtfertigt wäre, Wie der Deutsche Wirtschaftsminister gemäss Focus gesagt hat, macht die Regierung keine Fehler; was da heisst: die Regierung hat immer Recht. Jeder Mensch weiss zur genüge, dass dem nicht so ist und es obliegt dem kritischen Journalismus Regierungsfehler aufzudecken (von den Entschuldigungen Regierender für ihre Fehler mal abgesehen). Natzideutschland hatte auch eine Regierung und die hat nicht nur zum mehrfachen Völkermord aufgerufen, sie hat ihn auch gleich umgesetzt. Wehe der Bürgerin, dem Bürger die/der sich dem in den Weg gestellt hat. Neueren Datums hat sowohl die Umsetzung umstrittener Corona-Massnahmen wie der Umgang mit Kritiker:innen gezeigt, wie weit die deutsche Regierung bereit ist zu gehen. Das macht die Rufe Deutscher nach einer Einheitsregierung für Europa (was die EU unter deutscher Führung bereits ist) wenig sympathisch.
Wir müssen Anderssein, anderes Verhalten und andere Meinungen weder lieben noch gut finden. Wir alle aber müssen sie mindestens akzeptieren. Ich selber plädiere für Interesse an der menschlichen und der Meinungsvielfalt, denn sie sind auf’s Innigste mit der Biodiversität verknüpft.